Virtuelle Zusammenarbeit – eine Herausforderung für Führungskräfte

4. Oktober 2021

„Jede Krise ist eine Bewährungsprobe für Führungskräfte“ sagt Jürgen Weibler, Experte für Führungsfragen beim Roman-Herzog-Institut. Und die Coronakrise war für einen großen Teil der Chefinnen und Chefs sicher die gewaltigste Krise in ihrer Karriere. Mit einem Schlag fand die gesamte Kommunikation digital statt: Von heute auf morgen mussten Vorgesetzte am Telefon oder per Videochat Aufgaben und Ergebnisse besprechen, motivieren oder auch mal trösten und aufbauen. Aber wie funktioniert das aus der Distanz?

Kommunikation ist das A und O

Kommunikation, da sind sich die Experten aus der Managementberatung einig, ist beim Führen aus der Distanz noch wichtiger als zuvor – gerade weil man sich nicht persönlich gegenübersitzt. Und Corona hat gezeigt, dass manche Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter im Homeoffice ein wenig verloren gehen. Für Vorgesetzte bedeutet das, engen Kontakt zum Team und zu jedem Einzelnen zu halten. Dabei helfen Small Talk oder sogenannte Eisbrecherfragen zu Beginn des Gesprächs. Gerade aus der Distanz müssen Führungskräfte noch mehr emotionale und soziale Kompetenz beweisen.

Das heißt aber auch, dass die Führungsaufgaben mehr Zeit in Anspruch nehmen. Den Mehraufwand geben Personaler und Führungskräfte in einer Umfrage mit 30 bis 50 Prozent an. Dabei geht es weniger um die Organisation von Arbeit, sondern vor allem um die Organisation von zwischenmenschlichem Austausch. Die meisten Beschäftigten vermissen den persönlichen Kontakt und zwanglose Gespräche. Daher braucht virtuelle Führung kreative Kommunikationsinstrumente, um auch über die räumliche Distanz ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen. In einigen Firmen gibt es dafür bereits eine digitale Kaffeeküche oder das wöchentliche After-Work-Event am Bildschirm.

Digitale Meetings sind kürzer, dafür zahlreicher

Der Austausch von Informationen rund um die Arbeit geht digital dagegen schneller: Videokonferenzen sind meist strukturierter und komprimierter als Präsenzveranstaltungen. Das ist auch gut so, denn die Aufmerksamkeitsspanne bei digitalen Formaten ist nachweislich kürzer. Allerdings hat die Zahl der Meetings deutlich zugenommen. Daher sollten Vorgesetzte sowohl für sich selbst als auch für ihr Team darauf achten, dass im Kalender ausreichend meetingfreie Zeiten eingeplant sind.

Vertrauen in die Eigenverantwortung ist gewachsen

Die wichtigste Erkenntnis nach über eineinhalb Jahren Homeoffice ist, dass Führungskräfte mobiles Arbeiten wesentlich positiver sehen. Die Beraterfirma PricewaterhouseCoopers (PWC) hat eine Umfrage unter Führungskräften gemacht. Über 60 Prozent der Befragten wollen auch in Zukunft mehr Wert auf eigenverantwortliches Arbeiten legen. Das bedeutet jedoch nicht, die Mitarbeiter sich selbst zu überlassen. Vielmehr stimmen Vorgesetzte und Mitarbeitende gemeinsam ab, welche Projekte wie und bis wann bearbeitet werden sollen.

Ist das Team nicht vor Ort, brauche es zudem transparente und aktuelle Dokumentation, weiß Beate Rosenthal. Sie ist Marketingmanagerin und erprobt in Sachen Leadership aus der Ferne. Nur so sei sichergestellt, dass Wissen nicht verloren geht und alle auf demselben Stand sind. Allerdings darf der Austausch nicht ausarten. Insbesondere E-Mails werden häufig an einen großen Empfängerkreis versendet – selbst wenn die Informationen nur für einen Teil der Empfänger interessant ist. Auch hier ist die Chefetage gefragt, Regeln zu schaffen, damit die E-Mailflut nicht zum Tsunami wird.

Wann hört Beruf auf und fängt privat an?

Die große Gefahr bei der mobilen Arbeit ist, dass sich die Grenze zwischen Arbeit und Privatem verschiebt. Abends oder am Wochenende werden dann noch E-Mails gelesen und teilweise beantwortet. Für Stephan Böhm, Professor für Diversity Management und Leadership der Universität St. Gallen und Mitautor der Barmer-Studie „social health@work“ ist die Führungskraft hier als Vorbild gefragt – hält sie sich an die vorgegebenen Arbeits- und Erreichbarkeitszeiten, fällt das auch den Mitarbeitenden leichter.

Führungskräfte machen den Unterschied

Wie sehr Zufriedenheit und Produktivität im Homeoffice vom Führungspersonal abhängen, verdeutlicht die Barmer-Studie. Die Befragten bescheinigen ihren Vorgesetzten einen maßgeblichen Anteil daran, dass sie im Homeoffice um zehn Prozent produktiver sind als in der Firma. Das, so die Umfrage, steht und fällt mit dem effektiven Einsatz von digitalen Kommunikationsmöglichkeiten. Ein gutes Zeugnis also für Führungskräfte, die technisch auf der Höhe der Zeit sind. Ihre Mitarbeitenden sind der Umfrage zufolge auch deutlich zufriedener als Beschäftigte, deren Chefs weniger gut mit der Technik klarkommen.

Mit der Arbeit verändert sich die Führung – und andersherum

HR-Experten sehen in der neuen Form des Führens auch eine Abkehr von alten Arbeitsmodellen: Entscheidungen werden nicht mehr allein von den Vorgesetzten getroffen – das Team ist beim Prozess dabei und kann sich aktiv beteiligen. Das Ergebnis rückt in den Mittelpunkt. Wie man dahin kommt, ist nicht mehr so wichtig. New Work, Scrum oder Agiles Arbeiten beschreiben diese neue Form von Arbeit. Die Führungskraft wird dabei zum Coach.

Dazu passt, dass in der PWC-Umfrage fast 90 Prozent der Befragten angeben, dass sich ihre Führungstätigkeit durch Corona verändert hat. Mehr als 90 Prozent sind sogar überzeugt, dass Führen aus Distanz in Zukunft viel mehr Beachtung finden muss. Sich selbst nehmen die Chefinnen und Chefs allerdings auch in die Pflicht – die Hälfte sagt, dass sie ihre digitalen Fähigkeiten ausbauen will.

 

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