Streit über die Rückkehr zur Homeoffice-Pflicht: Eher ein Kampf der (Arbeits-)Kulturen

5. September 2022

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD plant im Herbst die Rückkehr zur Homeoffice-Pflicht. Die ersten Unternehmen laufen schon Sturm gegen diesen Plan. Sie wollen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weismachen, dass das, was zwei Jahre geklappt hat, plötzlich nicht mehr funktioniert. Wertschätzung für die eigene Belegschaft sieht anders aus.

Als Personalberater stelle ich mir schon die Frage, wie man seine Leute so vor den Kopf stoßen kann. Und auch, wie man alle Erfahrungen und Studien so ignorieren kann. Schließlich haben die meisten Unternehmen während der Coronazeit berichtet, wie gut das Homeoffice funktioniert. Studien zeigen zudem, dass die Menschen in den eigenen vier Wänden eher zu viel als zu wenig arbeiten. Zugleich finden Beschäftigte im Homeoffice, dass sich ihre Work-Life-Balance durch den Wegfall des Pendelns verbessert hat. Auch die Möglichkeit, sich den Tag anders einzuteilen, sich zwischendurch um die Kinder zu kümmern und das liegengebliebene Arbeitspensum abends nachzuholen, schätzen die meisten der Befragten. Mehr als die Hälfte der Angestellten wünscht sich daher auch weiterhin eine Homeoffice-Option. Das gleiche hören wir bei BECKER + PARTNER von unseren Kandidaten.

Von der Homeoffice-Pflicht zur Homeoffice-Kür

Viele Unternehmen haben sich bereits auf die neue Art zu arbeiten eingestellt und Konzepte für Remote-Arbeit entwickelt. Branchengrößen wie SAP oder Microsoft stellen es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern komplett frei, von wo sie arbeiten wollen. In anderen Unternehmen überwiegen hybride Modelle mit einem bis vier Tage Homeoffice-Option. Es gibt jedoch auch Firmen, die nach wie vor auf Vollzeit-Präsenz setzen. Auch wenn es möglich wäre, die Arbeit von zu Hause zu erledigen, wollen sie ihre Belegschaft im Büro sehen.

Damit machen sie sich meiner Ansicht nach selbst das Leben schwer. Denn die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt in mehrfacher Hinsicht umgekrempelt: Homeoffice ist eine davon. Aber auch die Sinnfrage, die vorher eher bei der Generation Z Thema war, wird von immer mehr Beschäftigten gestellt. Mit der Folge, dass viele von ihnen ihren Job kündigen oder bereit sind zu kündigen – selbst, wenn sie noch keinen neuen Arbeitsplatz in Aussicht haben. Das ist neu und sicher auch eine Folge des Mangels an Arbeitskräften; schließlich waren die Chancen eine neue Stelle zu finden selten besser als heutzutage. Und je mehr sich die „Arbeiterlosigkeit“ verschärft, desto mehr können sich Fachkräfte die Bedingungen aussuchen, zu denen sie arbeiten wollen. Weit oben auf dieser Liste steht die bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf, unter anderem durch flexible Arbeitsorte und Arbeitszeiten.

Mit alten Arbeitsmodellen lockt man kein neues Personal

Deswegen ist es aus unserer Sicht als Personalberatung nicht mehr zeitgemäß auf die Anwesenheit im Büro zu pochen. Unternehmen sollten vielmehr gute Konzepte entwickeln, Präsenz und Homeoffice miteinander zu verbinden. So ließe sich trotzdem eine gewisse Kontrolle beibehalten, die kaum ein Unternehmen ganz abgeben möchte. Gleichzeitig zeigen großzügige Remote-Arbeit-Angebote Vertrauen und Wertschätzung gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Unserer Erfahrung nach wird dieses Vertrauen in den wenigsten Fällen enttäuscht. Im Gegenteil – mehr Flexibilität und Eigenverantwortung führen in der Regel zu mehr Motivation und Zufriedenheit. Das sollten die Unternehmen anstreben, denn nur so lassen sich Beschäftigte langfristig im Unternehmen halten. Auch im Kampf um die jungen Talente haben Firmen, die sich der neuen Arbeitswelt verschließen, schlechte Karten.

Dem Arbeitsminister geht es bei der Rückkehr zur Homeoffice-Pflicht natürlich um den Gesundheitsschutz. Aber der Streit, der jetzt daraus entsteht, ist meiner Meinung nach in erster Linie ein Kampf von Anhängern der alten Arbeitswelt zur Bewahrung früherer Konzepte. Aber diese Unternehmen sollten sich dann nicht beklagen, wenn ihnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgehen.