New Hiring: Wie funktioniert Personalbeschaffung in der Arbeitswelt von Morgen?

22. September 2022

New Hiring ist ein großes Thema, wenn man über New Work spricht. Auch bei der New Work Experience-Veranstaltung 2022, die im Juni (im Sommer) in Hamburg stattfand, ging es darum, wie Recruiter die richtigen Menschen für ihr Unternehmen finden. Als Personalberater haben wir der Diskussion besonders aufmerksam zugehört. Und bemerkenswerte Antworten gefunden.

In der Gesprächsrunde saßen Vertreterinnen und Vertreter aus ganz unterschiedlichen Unternehmen. Julia Bangerth, die Chief Executive Officer bei Datev ist, Jonathan Kurfess, CEO und Gründer der digitalen Marktforschung Appinio sowie Tim Good, Chef von Accentures Human-Potential-Team in Europa.

Lernen ist das neue Recruiting

Das alte Recruiting-Modell, dass man für eine freie Stelle eine Person mit fest definierten Skills sucht, „funktioniert generell nicht mehr“, ist Julia Bangerth überzeugt. So werde man die Leute, die man braucht, nicht finden. Doch sie hat auch eine Lösung parat: „Gewachsene Unternehmen haben eine tolle Ressource, nämlich die Menschen, die in dem Unternehmen sind. Wir trennen immer Recruiting und Lernen.“ In ihren Augen kann man Personalbeschaffung aber nicht mehr isoliert sehen. Stattdessen müsse man Anreize schaffen, Menschen innerhalb des eigenen Unternehmens weiterzuentwickeln.

Diesen Ansatz können wir von Becker + Partner voll unterschreiben. Den Anspruch gibt es ja schon länger, unter dem Stichwort lebenslanges Lernen. Er passt aber auch perfekt zu den Wünschen der jungen Fachkräfte. Sie wollen nämlich nicht bis zur Rente auf demselben Posten mit denselben Aufgaben sitzen. Das zeigt uns die Erfahrung jeden Tag. Für Bangerth bedeutet Recruiting durch Lernen folgerichtig neue Inhalte bei Stellenanzeigen. Statt aufzuzählen, was man alles können muss, soll darin ihrer Meinung nach vielmehr stehen, was man alles braucht – und was man innerhalb eines Jahres lernen kann.

Bei Appinio kann jeder so lange Urlaub nehmen, wie er möchte

Für Jonathan Kurfess hat die Corona-Krise für eine neue Art der Mitarbeiterführung und der Mitarbeitergewinnung gesorgt. „Wir haben jetzt viele Leute, die in Südeuropa sitzen“, erzählt er. Appinio sei inzwischen sogar ein „Remote first“-Unternehmen. Doch nicht nur bei der Frage, von wo sie arbeiten möchten, haben seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Wahl. Sie entscheiden auch, wieviel Urlaub sie nehmen möchten. Kurfess‘ Anspruch ist, dass jeder bei Appinio sich als Mini-CEO fühlen sollte. Es gebe ein hohes Level an Vertrauen, minimale Kontrolle und maximale Flexibilität. Das führe zu glücklicheren Mitarbeitern. Eines stellt Kurfess aber klar: Man habe das nicht wegen des Fachkräftemangels gemacht.

Kurfess bezeichnet sich selbst als „starken Idealisten“. Daher habe er sich gefragt, wie er gerne arbeiten wollte und kam zu dem Schluss, „ich möchte eine Organisation bauen, die von einem positiven Menschenbild ausgeht“. Seine Devise lautet, „wir vertrauen Euch, dass Ihr auf Euch selbst achtet und auch auf die Organisation achtet“. Sein Ansatz hat Erfolg: Kurfess gehört laut Forbes zu den erfolgreichsten 30 Jungunternehmern. 120 Menschen beschäftigt der Spezialist für digitale Marktforschung.

New Hiring: Kandidaten „hineinfiltern“ statt herausfiltern

Vertrauen und Selbstverantwortung sind für Accenture-Chef Tim Good ebenfalls die Schlüssel, wenn es um New Work und damit auch um Personalgewinnung geht. Ihm ist es egal, wo und wann sein Team arbeitet, solange die Ergebnisse stimmen. Ähnlich sieht er es bei der Mitarbeitergewinnung: „Wir müssen viel mehr nach dem Potential schauen als danach, was man vorher gemacht hat.“ Beim traditionellen Recruiting, sagt Good, habe man Kandidaten herausgefiltert, anstatt sie „hineinzufiltern“. Ohne hier umzudenken, könne man den großen Bedarf an Arbeitskräften aber gar nicht decken. Good muss es wissen – während der Corona-Pandemie hat Accenture in einem Jahr 100.000 Menschen eingestellt. Alles in Remote-Bewerbungsprozessen wohlgemerkt.

Accenture setzt bei seinen Recruiting-Prozessen sehr stark auf AI. Den Begriff künstliche Intelligenz mag Good aber nicht. „Angewandte Intelligenz“ findet er treffender. Denn hinter jedem Prozess stehe ein Mensch. Dazu komme, dass die Algorithmen nur so gut sein können, wie die zugrundeliegenden Daten. Auch für Julia Bangerth ist künstliche Intelligenz noch nicht der Recruiter von Morgen. Die Frage sei auch, ob man als Kandidat von einer KI ausgesucht werden wolle. Für sie ist ein gut ausgereifter digitaler Bewerbungsprozess erst einmal wichtiger. Das gehe von der Stellenanzeige über das Vorstellungsgespräch bis hin zur Vertragsgestaltung.

Für uns als Headhunter ist die Unterstützung von digitalen Assistenten ungemein wertvoll. Aber wir verlassen uns am Ende ebenfalls auf unsere Erfahrung und Menschenkenntnis. Dafür nehmen wir uns die Zeit, mit Kandidatinnen und Kandidaten zu sprechen und herauszufinden, ob sie zu unseren Kunden passen – und umgekehrt.

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