Sommer, Sonne, Zoom-Call: Immer mehr Menschen sind im Urlaub erreichbar für den Chef

18. September 2023

Endlich Urlaub hieß es in diesen Tagen für viele Beschäftigte. Doch immer mehr Arbeitnehmer sind auch während der Ferien für die Firma erreichbar. Die meisten machen das aus freien Stücken.

Spätestens seit das Homeoffice seinen Siegeszug angetreten hat, sind die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit noch fließender geworden. Auch in den Sommerferien ist es inzwischen für immerhin 37 Prozent der Büroangestellten selbstverständlich für ihren Arbeitgeber erreichbar zu sein. Das hat eine Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergeben. Vor einem Jahr waren es noch 31 Prozent, die im Urlaub nicht von der Arbeit lassen konnten. Dabei liegt es gar nicht unbedingt an der Erwartung des Arbeitgebers – 80 Prozent der Befragten geben an, dass sie aus eigenem Antrieb erreichbar bleiben. Für 76 Prozent sind wichtige Aufgaben und Projekte der wichtigste Grund. Die Erwartungshaltung von Vorgesetzten wird erst an dritter Stelle genannt.

Auch die Unerreichbaren lesen ihre Mails

Mehr als ein Viertel gibt dabei an, an jedem Tag des Urlaubs für Chefin oder Chef zu sprechen zu sein. 12 Prozent sind immerhin an mehr als sieben Tagen erreichbar. Fast drei Viertel derer, die im Urlaub für Chefin oder Chef verfügbar sind, checken zudem täglich ihre Mails. Das tun aber auch diejenigen, die angeben, dass sie im Urlaub eigentlich offline sind: 16 Prozent von ihnen werfen täglich einen Blick ins dienstliche Mail-Postfach.

Den Trend zur permanenten Erreichbarkeit beobachten wir als Personalberater ebenfalls. Insbesondere für Menschen in höheren Positionen ist es meist keine Frage, im Urlaub ein Projekt weiterzuverfolgen oder für Vorgesetzte ansprechbar zu sein. Viele wollen auch einfach den Stress nach der Rückkehr verhindern, wenn sie alles Liegengebliebene aufholen müssen. Manchmal ist es zudem das eigene Ego, dass einen nicht abschalten lässt, weil man sich für unersetzlich hält.

Die wenigsten Chefs fordern ausdrücklich, dass jemand während des Urlaubs erreichbar ist. Die Rechtslage ist schließlich eindeutig: Jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin hat Anspruch auf Erholungsurlaub – und darf dabei nicht mit Arbeit behelligt werden. Ausnahmen gibt es, aber nur in begründeten Situationen.

Wenige Chefs haben strenge Urlaubs-Regeln

Aber es zeigt sich auch, dass Vorgesetzte selten aktiv unterbinden, dass ihre Angestellten im Urlaub für die Firma da sind. Wir bei Becker + Partner sehen häufig, dass die freiwillige Erreichbarkeit dankbar in Anspruch genommen wird. Steckt ein Projekt in einer entscheidenden Phase, mag das sinnvoll sein, um den Abschluss nicht zu gefährden. Doch angesichts der Personalknappheit in vielen Bereichen ist die Ausnahme häufig zur Regel geworden.

Diese Entwicklung sollte schleunigst eingegrenzt werden. Denn nicht nur der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt vor der permanenten Erreichbarkeit, auch Mediziner bestätigen, dass Menschen, die sich Auszeiten nehmen, in denen sie nicht an die Arbeit denken, langfristig gesünder und damit leistungsfähiger sind. Entspannung, so sagen Fachleute, setzt erst ab der zweiten Urlaubswoche ein, weshalb sie empfehlen, einmal im Jahr drei Wochen Urlaub am Stück zu nehmen.

Im Urlaub klare Regeln definieren

Aus Sicht einer Personalberatung raten wir dazu, die Erreichbarkeit im Urlaub klar zu regeln. In größeren Betrieben gibt es dazu oft eine Betriebsvereinbarung. In kleineren Unternehmen sollte man sich mit Vorgesetzten und Kollegen einigen, in welchen Fällen man im Urlaub kontaktiert wird. Außerdem ist es hilfreich, eine Vertretung zu benennen, die einen Großteil der Aufgaben erledigen kann. Ansonsten ist die Erholung schnell dahin, wenn man nach dem Urlaub alles abarbeiten muss, was liegengeblieben ist. Je besser die Vertretung gebrieft ist, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass die Urlauber angerufen werden.

Nachahmenswert ist in unseren Augen das Modell, dass die Daimler AG vor fast zehn Jahren eingeführt hat: Die Beschäftigten können alle Mails, die während ihrer Urlaubszeit eintreffen, automatisch löschen lassen. Der Absender bekommt eine Nachricht, dass die betreffende Person nicht da ist und die Kontaktdaten eines Stellvertreters für dringende Fälle. So finden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer Rückkehr ein aufgeräumtes Postfach vor – und der Erholungseffekt ist nicht gleich schon in den ersten Arbeitstagen wieder dahin.

Passende Artikel